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Marken, Margen, Magenschmerzen Die Crux mit den Billigmarken und der Nachhaltigkeit
Eine kniffelige Frage rumorte in den vergangenen Tagen in mir und verursachte Magenschmerzen: Wie kann, darf oder sollte man Nachhaltigkeit ganz speziell als Anbieter von Plus Size Secondhand Kleidung eigentlich definieren? Am besten erkläre ich erst einmal, was ich damit meine und warum es mich so sehr beschäftigt.
Gebrauchte Kleidung zu kaufen, ist DER Trend der letzten Jahre. Das ist prima. Viele Secondhand Shops nehmen dabei ausschliesslich hochwertige (sprich: teure) Markenkleidung ins Sortiment und schreiben sich das Wort Nachhaltigkeit in fetten Lettern auf die Schaufensterfronten. Damit bin ich einverstanden. Secondhand-Luxusmode hat absolut ihre Berechtigung und scheint ein funktionierendes Geschäftsmodell zu sein. Warum auch nicht? Die Anzahl der potenziellen Kundinnen ist gross, die Auswahl an Boutiquen- und Designerware riesig. Und bei Grösse 42/44 ist dann halt Schluss.
Aber was ist eigentlich mit dem ganzen Rest, sozusagen den "Normalsterblichen" unter den Kleidungsstücken, den günstigeren Linien von Modeketten oder Online-Anbietern? Diese Frage stelle ich ganz unabhängig davon, in welcher Grösse sie hergestellt wurden: Darf und sollte ein Secondhand Shop solche Textilien ins Sortiment nehmen?
Billigmarken und No Name Klamotten – das geht auf den ersten Blick gar nicht! Auch aus wirtschaftlicher Sicht macht es nicht viel Sinn. Durch die niedrigeren Preise würden schliesslich auch die Gewinne deutlich schmaler ausfallen.
Trotzdem schaue ich nochmal genauer hin. Ja, es ist mir bewusst, dass im günstigeren Preissegment quasi in Lichtgeschwindigkeit und oft unter denkbar schlechten Arbeitsbedingungen produziert wird. Und ja, ich weiss - und das aus eigener Erfahrung - wie viele dieser Kleidungsstücke am eigenen Bedarf vorbei gekauft werden. Einfach deshalb, weil sie zum Mega-Schnäppchenpreis angeboten werden und wir schon fast im Wochentakt mit neuen Kollektionen zugemüllt werden. Am Ende hängt das vermeintliche Schnäppchen im Schrank und wird irgendwann ungetragen entsorgt.
Natürlich finden wir das alle verwerflich und nicht wirklich unterstützenswert. Am nachhaltigsten wäre es, wenn wir unser Kaufverhalten so änderten, dass solche Kleidung erst gar nicht produziert und vermarktet würde. Aber mal ehrlich: Wie realistisch ist das in Zeiten von "Mal eben 10 Kleider online bestellen und 9 davon wieder versandkostenfrei zurückschicken"?
Fakt ist: Diese Kleider sind bereits produziert. Sie existieren. Sie werden in Umlauf gebracht und das wird auf absehbare Zeit so bleiben. Sie haben die Umwelt bereits belastet und bei Produktion und Vertrieb klimaschädliche Emissionen verursacht.
Da drängt sich die Frage doch geradezu auf, ob es so betrachtet überhaupt weniger nachhaltig ist, wenn ich in meinem Secondhand Laden für grosse Grössen einfach JEDES tragbare Kleidungsstück anbiete und nicht ebenfalls auf der trendigen Luxus- und Markenwelle mitsurfe? Zumindest nicht ausschliesslich. Ist es ganz im Gegenteil vielleicht sogar deutlich nachhaltiger, auch ein gut erhaltenes Teil von H&M oder C&A ins Sortiment zu nehmen und gebraucht zu verkaufen?
Ich bin mir nicht sicher, wie diese spannende und schwierige Frage von Experten beurteilt wird. Mir persönlich ist es ein Anliegen, dass so wenig wie möglich bereits Produziertes entsorgt wird. Und so gelange ich wie von selbst zu dem Schluss, dass es sich - ganz unabhängig von Marken und Margen - definitiv lohnt, auch günstigere Kleidungsstücke in Umlauf zu halten. Zum einen aus den soeben erläuterten Betrachtungen. Zum anderen, weil ich es in meinem eigenen kurvenreichen Leben immer wieder erlebt habe, dass das superbequeme, robuste und heissgeliebte Oberteil eben gerade nicht aus der teuren Plus Size Boutique stammte. Oder dass die Lieblingshose, die jahrelang in Form blieb und perfekt sass, dereinst von Herrn Vögele und nicht von Herrn Versace produziert wurde.
Es wäre doch geradezu fahrlässig, meinen Kundinnen diese ganz besondere nachhaltige Erfahrung vorzuenthalten, indem ich mich allein auf die Wirtschaftlichkeit von Marken und die Wichtigkeit von Margen konzentriere! Und mit dieser Erkenntnis sind dann auch meine Magenschmerzen Geschichte.
Pech für die dicke Frau! Warum es in Secondhand-Läden keine grossen Grössen gibt und sich das dringend ändern muss.
Lange war es mir gar nicht bewusst, weil es über so viele Jahre einfach normal war: Ich habe meine Kleider immer neu gekauft. Und ich bezahlte dafür meistens recht viel. Jede Frau, die Kleider ab Grösse 44 trägt, weiss, wovon ich rede. Lange genug habe ich das auch gar nicht hinterfragt. Eine Plussize Frau braucht ein Plussize Portemonnaie – so ist das eben. Pech für die dicke Frau!
Und dann sprechen plötzlich alle von Nachhaltigkeit, von umweltbewusstem Konsum, und davon, gebrauchte Kleidung so lange wie möglich im Umlauf zu halten. Tolle Idee, denke ich, da mache ich mit. Und, wie sich nur allzu schnell herausstellen sollte, erneut Pech für die dicke Frau!
Ich stöberte also regelmässig hochmotiviert und kaufwillig in der umfangreichen Auswahl gut sortierter Secondhand-Shops, von denen es erfreulicherweise inzwischen in Stadt und Land eine erkleckliche Anzahl gibt. Und ich habe diese Läden ebenso regelmässig frustriert bis unter die Haarwurzeln wieder verlassen. Denn, genau wie auf Flohmärkten und in Brockenhäusern, ist in Secondhand-Läden die Auswahl an grossen Grössen unterdurchschnittlich bis nicht vorhanden. Selbst wenn auf meine scheue Nachfrage hin die freundliche Verkäuferin doch einmal geantwortet hat: „Aber ja, natürlich haben wir auch Plussize Mode, dort hinten ist ein ganzer Ständer mit grossen Grössen“, stellte sich ziemlich schnell heraus, dass der Ständer zu mindestens zwei Dritteln mit Kleidern der Grösse 44 bestückt war. Der Rest bestand aus einer sehr überschaubaren Menge in Grösse 46, gefolgt von wenigen tragischen Einzelschicksalen, die tatsächlich das Prädikat „Plussize Mode“ verdient hätten. Also wieder einmal: Pech für die dicke Frau!
Aber woran mag das liegen? Ich muss eigentlich nur meinen eigenen Kleiderschrank - oder sollte ich sagen: mein eigenes Kleiderlager? - betrachten, um diese Frage zu beantworten. Dort finden sich Klamotten in mindestens drei Grössen. Aus gefühlt drei Jahrzehnten. Neunzig Prozent davon auch genau so lange nicht mehr getragen. Aber weggeben? Wieder in Umlauf bringen? All die mühsam zusammengesuchten und in überteuerten XXL-Boutiquen gekauften Teile? Nur um sie dann später wieder teuer nachkaufen zu müssen? Nie im Leben! Frau kann schliesslich nicht wissen, wann sie wieder zu- oder abnimmt. Oder ob sie genau dieses eine Teil nicht doch noch einmal brauchen könnte.
Und auch wenn ich letzten Endes immer nur die gleichen Lieblingsteile trage (nämlich die, die genau die richtigen Stellen betonen und die anderen kaschieren), hocke ich doch auf meinem Klamottenlager wie eine Glucke auf ihrem Nest. Tja, Pech für die dicke Frau! Aber diesmal für die andere. Die, die sich vielleicht über ein kaum getragenes Secondhand Schnäppchen aus meinem Kleiderschrank gefreut hätte. Die vielleicht genau deshalb kein neues Kleidungsstück hätte kaufen müssen. Die aus genau meinem verschmähten Hosenanzug ein Stück gelebte Nachhaltigkeit gemacht hätte. Was für ein Pech. Und so gesehen doch irgendwie schade für alle!
Aber das ändert sich zum Glück nun gerade...