Lange war es mir gar nicht bewusst, weil es über so viele Jahre einfach normal war: Ich habe meine Kleider immer neu gekauft. Und ich bezahlte dafür meistens recht viel. Jede Frau, die Kleider ab Grösse 44 trägt, weiss, wovon ich rede. Lange genug habe ich das auch gar nicht hinterfragt. Eine Plussize Frau braucht ein Plussize Portemonnaie – so ist das eben. Pech für die dicke Frau!
Und dann sprechen plötzlich alle von Nachhaltigkeit, von umweltbewusstem Konsum, und davon, gebrauchte Kleidung so lange wie möglich im Umlauf zu halten. Tolle Idee, denke ich, da mache ich mit. Und, wie sich nur allzu schnell herausstellen sollte, erneut Pech für die dicke Frau!
Ich stöberte also regelmässig hochmotiviert und kaufwillig in der umfangreichen Auswahl gut sortierter Secondhand-Shops, von denen es erfreulicherweise inzwischen in Stadt und Land eine erkleckliche Anzahl gibt. Und ich habe diese Läden ebenso regelmässig frustriert bis unter die Haarwurzeln wieder verlassen. Denn, genau wie auf Flohmärkten und in Brockenhäusern, ist in Secondhand-Läden die Auswahl an grossen Grössen unterdurchschnittlich bis nicht vorhanden. Selbst wenn auf meine scheue Nachfrage hin die freundliche Verkäuferin doch einmal geantwortet hat: „Aber ja, natürlich haben wir auch Plussize Mode, dort hinten ist ein ganzer Ständer mit grossen Grössen“, stellte sich ziemlich schnell heraus, dass der Ständer zu mindestens zwei Dritteln mit Kleidern der Grösse 44 bestückt war. Der Rest bestand aus einer sehr überschaubaren Menge in Grösse 46, gefolgt von wenigen tragischen Einzelschicksalen, die tatsächlich das Prädikat „Plussize Mode“ verdient hätten. Also wieder einmal: Pech für die dicke Frau!
Aber woran mag das liegen? Ich muss eigentlich nur meinen eigenen Kleiderschrank - oder sollte ich sagen: mein eigenes Kleiderlager? - betrachten, um diese Frage zu beantworten. Dort finden sich Klamotten in mindestens drei Grössen. Aus gefühlt drei Jahrzehnten. Neunzig Prozent davon auch genau so lange nicht mehr getragen. Aber weggeben? Wieder in Umlauf bringen? All die mühsam zusammengesuchten und in überteuerten XXL-Boutiquen gekauften Teile? Nur um sie dann später wieder teuer nachkaufen zu müssen? Nie im Leben! Frau kann schliesslich nicht wissen, wann sie wieder zu- oder abnimmt. Oder ob sie genau dieses eine Teil nicht doch noch einmal brauchen könnte.
Und auch wenn ich letzten Endes immer nur die gleichen Lieblingsteile trage (nämlich die, die genau die richtigen Stellen betonen und die anderen kaschieren), hocke ich doch auf meinem Klamottenlager wie eine Glucke auf ihrem Nest. Tja, Pech für die dicke Frau! Aber diesmal für die andere. Die, die sich vielleicht über ein kaum getragenes Secondhand Schnäppchen aus meinem Kleiderschrank gefreut hätte. Die vielleicht genau deshalb kein neues Kleidungsstück hätte kaufen müssen. Die aus genau meinem verschmähten Hosenanzug ein Stück gelebte Nachhaltigkeit gemacht hätte. Was für ein Pech. Und so gesehen doch irgendwie schade für alle!
Aber das ändert sich zum Glück nun gerade...